Peter Schlangenbader

Peter Schlangenbader vor Collagen in seiner Wohnung, Berlin 1978

Foto: © Peter Schlangenbader

PUNK RULES OK!

Die Hippiezeit, so sehr sie die Welt verändert hatte, war ausgelaugt und nur noch esoterisch. Mitte 1976 hörte ich aus meinem Röhrenradio einen wilden, respektlosen Song der Sex Pistols, „Anarchy in the UK“. Er klang wie eine Ohrfeige, wie ein geiler Kuss! Ich wachte auf! Skandalöse Informationen und Zeitungsberichte folgten, die Vergangenheit brach weg, ich war im Fieber und trieb mich wieder rum. Meine Herz-Hirn-Schwanz-Kunst-Welt stand in Flammen.  Vernissage am Moritzplatz bei den Moritz-Boys. Dort sah ich zum ersten Mal einen Punk, der nervös-freundlich, mit blond gefärbten, kurzen Stoppelhaaren, die Spitzen grün, einem karierten Hemd, einem hässlichen Jackett mit Badges und Sicherheitsnadeln, einer löchrigen Jeans, roten Socken und abgerockten Turnschuhen, einfach rumhing und rauchte. Ein Tsunami brach los, er verschlang die Zeit und mich. Täglich neue Bands und sexy News. Ich begann mein Malereistudium, malte die Motive der verschmierten Klos vom Punkhouse auf Leinwände und erkannte immer klarer den Wahnsinn der Welt. Es lag nicht nur Musik in der Luft, auch Aggressivität, Hysterie und Lebensgier. Man veränderte sich sowie sein Outfit täglich, zerlöcherte Hosen und Jacken mit der Schere, bemalte T-Shirts selbst, schmückte sich mit Stahlketten, stach sich Sicherheitsnadeln durch Ohren, Lippen, Nasenflügel, schrieb Botschaften auf seine Klamotten: NO FUTURE! Generation X! Anarchie in Germany! Punk rules OK! Fuck Off! Ich las meine Gedichte im Foyer der Kunsthochschule und schnitt mir dabei mit einer Rasierklinge Linien in die Brust, das Blut kam zeitverzögert. Abends im Dschungel wurde mit nacktem Oberkörper Pogo getanzt, die blutverkrusteten Wunden wurden stolz wie Orden gezeigt.

An den Wochenenden tauchte ich oft mit dem Gitarristen Heinz Brandenburg (später bei den Suurbiers, Partykillers, Eisenstein, Lost Idols) im Punkhouse, im Dschungel oder im S.O.36 auf. Einmal stritten wir uns dermaßen, dass wir uns vor Wut gegenseitig unsere Brillen vom Kopf rissen und über den Ku‘damm schmissen. Danach waren wir wieder beste Freunde. Ich sah Devo, Damned, Clash, Ultravox, Stiff Little Fingers, PVC, Jam, Blondie, Wayne/Jayne County, 999, Cure, Dead Kennedys, DAF, Ramones, Plasmatics, Einstürzende Neubauten oder Wire live. Man begrüßte die Bands meist mit einem Hagel von Bierdosen und Spucke; sie spuckten oft zurück. Im Punkhouse sprangen auch mal amerikanische GIs mit runtergelassenen Hosen und brennendem, zusammengerolltem Zeitungspapier im Arsch über die Tanzfläche. Die Punkzeit war maßlos inspirierend und hat die Welt für immer umgekrempelt. Mich hat sie bis heute glücklich traumatisiert und aus diesem Grund trage ich, durchs linke Ohrläppchen gestochen, eine goldene Sicherheitsnadel.

Peter Schlangenbader, 2021